Eine Gruppe Männer befindet sich mit einem Elefanten in einem Raum. Es ist dunkel. Niemand sieht den Elefanten. Die Männer können ihn nur ertasten.
Einer der Männer fühlt den Rüssel und sagt, der Elefant sei wie ein Ast. Ein anderer Mann ertastet ein Bein und beschreibt den Elefanten wie eine Säule. Ein dritter Mann berührt den Schwanz des Elefanten und vergleicht ihn mit einem Seil, …
Wir alle kennen dieses Gleichnis. Es lehrt uns, dass die Realität je nach Perspektive sehr unterschiedlich wahrgenommen wird.
Was hat das Gleichnis über den Elefanten mit Mathematik zu tun?
Werfen wir doch einen Rundumblick auf die Mathematik und finden es heraus!
Die Mathematik definiert alles – nur sich selbst nicht
Zunächst einmal fällt auf, dass die Mathematik alle Begriffe definiert. Dabei ist sie sehr präzise. In Definitionen kann kein Wort dazugedichtet oder weggenommen werden, ohne dass sich dabei ihr Sinn verändert.
Tipp!
Daher kannst du in deinem Studium die Definitionen auch nicht grob mit deinen eigenen Worten wiedergeben. Du musst sie auswendig lernen
Uuhf! Ja, das ist nicht so toll – aber unumgänglich.
Zurück dazu, dass wirklich alles in der Mathematik definiert wird. Alles, außer der Begriff Mathematik!
Das wäre ja auch zu leicht gewesen… 🙂
Vom Rechnen zur Mathematik
Vielleicht kommen wir weiter, wenn wir uns anschauen, wann und wie das erste Mal ein Unterschied zwischen Rechnen und Mathematik gemacht wurde.
Das Rechnen entwickelte sich aus der Anwendung heraus
Der Mensch besitzt ein natürliches Verständis für die Größe von Mengen. Sogar einige Tiere verfügen über die Fähigkeit Mengen zu unterscheiden. Vor rund 5000 Jahren wurden bereits Zahlzeichen von den Babyloniern und Ägyptern verwendet. Aus der Landvermessung und dem Hausbau heraus entwickelten beide Kulturen beispielsweise Formeln für Flächeninhalte. Die Zahl =3,14159… war damals noch unbekannt, wurde aber von den Babyloniern schon recht gut mit 3 geschätzt.
Am Anfang standen Mengen, woraus für ihre Größe Zahlen abstrahiert wurden. Mit den Zahlen entstand das Rechnen. Aus der Anwendung heraus folgte die Entwicklung von Formeln. Wer damals besonders geschickt mit Zahlen umgehen konnte, war als Rechenmeister angesehen.
Vor etwas mehr als 2300 Jahren haben die Griechen aus dem anwendungsorientierten Rechnen das entwickelt, was wir heute an der Universität unter Mathematik verstehen.
Das Wort Mathematik stammt aus dem Altgriechischen und bedeutet die „Kunst des Lernens“.1)Beetz, J. (2013): 1+1=10: Mathematik für Höhlenmenschen, Berlin.
Das Wort Mathematik bedeutet die Kunst des Lernens!
Was war denn nun 300 bis 400 Jahre vor Christus bei den Griechen so anders geworden im Umgang mit Zahlen?
Mit Beweisen grenzt sich die Wissenschaft von der Anwendung ab
Die Griechen waren die ersten, die die entwickelten Formeln und Gesetze bewiesen haben. Dabei haben sie nicht nur ihre eigenen griechischen Erkenntnisse bewiesen, sondern auch gleich die der Babylonier und Ägypter mit. Euklied fasste das damilige mathematische Wissen in einer dreizehnbändigen Buchreihe mit dem Namen „Die Elemente“ zusammen.
Seither ist die Mathematik – die Kunst des Lernens – eng verknüpft mit der Aufstellung von wenigen und widerspruchsfreien Grundregeln (Axiome) und dem Ableiten logischer Aussagen (Sätze) und ihren Beweisen.
Die Mathematik wurde des Wissens wegen betrieben und nicht mehr allein aus dem Handeln oder der Anwendung heraus. Somit war vor rund 2300 Jahren die Mathematik als Wissenschaft geboren. Fortan wurde zwischen Rechenmeistern und Mathematikern unterschieden.
Was ist Mathematik? – Erklärungsversuche
Aus der Historie entnehmen wir schon einmal:
Mathematik ist mehr als nur Rechnen.
Beutelspacher und Baptist schreiben 2008 in ihrem Buch „Alles ist Zahl“:
Mathematik ist eine hochgradig kreative Tätigkeit, die spezifische Denkfertigkeiten, Methoden und nicht zuletzt Erfahrung erfordert.2)Baptist, P., Beutelspacher, A. (2008): Alles ist Zahl, 1. Auflage, Köln.
Ein paar Zeilen weiter schreiben sie sinngemäß
Mathematik ist das Erkennen von und Umgehen mit Mustern und Struktur sowie den daraus resultierenden Beziehungen.
Der deutsche Mathematiker David Hilbert hat einmal gesagt
Die Mathematik ist das Instrument, welches die Vermittlung bewirkt zwischen Theorie und Praxis, zwischen Denken und Beobachten: Sie baut die verbindende Brücke und gestaltet sie immer tragfähiger. Daher kommt es, daß unsere ganze gegenwärtige Kultur, soweit sie auf der geistigen Durchdringung und Dienstbarmachung der Natur beruht, ihre Grundlage in der Mathematik findet.
Courant und Robbins kommen zu dem Schluss
Nur das Studium der mathematischen Substanz kann die Antwort auf die Frage geben: Was ist Mathematik?3)Courant, R., Robbins, H., Rellich, B. (2010): Was ist Mathematik?, 5., unveränd. Aufl., [Nachdr.], Berlin.
Fazit
Auf die Frage „Was ist Mathematik?“ gibt es eine ganze Reihe von Antworten. Jede davon ist bestenfalls eine Teilantwort. Keine wird dem Wesen der Mathematik vollständig gerecht.
So wie in der Gruppe der Männer jeder Einzelne in der Dunkelheit auch nur einen Teil des Elefanten beschreiben kann, kann die Mathematik auch nur in Teilen beschrieben werden.
Das beste Mittel Licht ins Dunkle zu bekommen ist, statt über Mathematik nur zu philosophieren, sich selbst damit zu beschäftigen.
Somit muss du Mathematik erfahren, um ihr Wesen zu verstehen.
Fange einfach mal an, andere als die dir aus der Schule bekannten Bereiche der Mathematik zu ertasten.
Anmerkungen, Links und Quellen
Um zu erfahren, was Mathematik ist, muss man erleben, wie mathematisches Wissen gewonnen wird. Dies geschieht in drei Phasen: 1. Mustererkennung und -beschreibung. 2. Repräsentationswechsel und Termumformung. 3. Wiedererkennen eines gewussten oder sogar verstandenen Sachverhalts.
und
4. Freude über das neu gewonnene Wissen! 🙂